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Wie blicken andere auf unsere Kultur? - Thomas Fürhapter im Interview
Wie wählst du die Themen für deine Dokumentationen aus?
Am Anfang kommen die Themen zu mir, da bin ich eher passiv. Es ist etwas, das mir zustößt und mich zum Nachdenken zwingt, ein Nicht-Wissen. Wenn ich schon alles weiß, dann kann ich keinen Film mehr machen. Einen Film macht man über etwas, das man sucht und nicht über etwas, das man weiß.
Das können ein Thema, ein Diskurs, eine oder mehrere Personen sein. Da bin ich ziemlich undogmatisch. Das kann einen persönlichen Hintergrund haben wie bei DIE DRITTE OPTION, oder ich kenne jemanden, der interessant ist, wie bei Michael Berger. Eine Hysterie. Oder ein politisch brisantes Thema – wie bei ZUSAMMENLEBEN. Oder ich lese einen Text und es poppt eine Filmidee auf. Der Zufall spielt eine sehr große Rolle.
Wie bist du dazu gekommen, die Dokumentation ZUSAMMENLEBEN zu machen? Was war dein Zugang?
Judith Benedikt, die Kamerafrau, mit der ich oft zusammenarbeite, hat mir erzählt, dass es diese Kurse gibt. Das hat mich interessiert. Wie blicken andere auf eine Kultur, in die ich hineingeboren wurde und mit der ich mich – zumindest teilweise – auch identifizieren kann. Welche Themen und Informationen sind für Migrant:innen relevant oder werden für relevant gehalten? Wie blicken andere auf eine Kultur, in die ich – und wahrscheinlich ein Großteil des Publikums – hineingeboren wurde, und die uns in vielen Dingen als selbstverständlich erscheint?
Mein Zugang war analytisch und zugleich empathisch, auch wenn in diesen Kursen mitunter Stereotype reproduziert und Klischees bedient wurden. Einerseits ist der Film eine Bestandsaufnahme oder ein Querschnitt durch das Kursangebot, andererseits war mir eine filmische Form wichtig, die weder paternalistisch noch ausstellend ist. Film ist immer auch Beziehung zwischen Filmenden und Gefilmten, die sich im Film selbst ausdrückt. Eine sensible und wertschätzende Form ist man den Menschen einfach schuldig, besonders bei einem Thema wie Integration und Diversität. Wir wollten, dass Migrant:innen selbst darüber sprechen – anders als das im politischen und medialen Diskurs oft der Fall ist. Aus diesem Grund haben wir uns bewusst dazu entschieden, nicht mit einer Kommentar- oder Off-Stimme zu arbeiten. Ich habe oft Probleme mit Filmen, die zwar gut gemeint sind, aber die Beziehung zu den Protagonist:innen und damit die eigene Situiertheit vernachlässigen.
Was hat dich an dem Thema besonders interessiert?
Da gibt es vieles. Die Schwelle oder der Übergang zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Innen und Außen, an der diese Kurse angesiedelt sind. Dann, aus einer anderen Perspektive, der umgekehrte Blick, eine Art Spiegelstadium oder das Othering, das Fremdwerden des Vertrauten. Die Fragen der Inhalte und der Didaktik: Worüber wird in diesen Kursen gesprochen? Und wie wird darüber gesprochen? Interessant fand ich auch, wie man sich als Zusehende:r im Kino zu dem Gesagten und den Bildern verhält. Der Diskurs ist ja sehr heterogen und ambivalent. Man muss das Gesagte immer mit den eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen in Beziehung setzen. Es gibt Aussagen, denen man zustimmt, anderen stimmt man vielleicht nur halb zu, wiederum andere gehen gar nicht, je nach Wertvorstellungen und Erfahrungen. Die Heterogenität des Diskursraums war vielleicht das Interessanteste.
Wie kann man sich den Dreh vorstellen? Hattet ihr Dolmetscher:innen im Team?
Nein, wir hatten keine Dolmetscher. Ich habe mich entschieden ohne Dolmetscher zu arbeiten, weil ich es gegenüber den Protagonist:innen nicht fair gefunden hätte. Es hätte mich auch zu sehr abgelenkt. Ich habe – neben Regie – auch die zweite Kamera gemacht und wollte mich ganz auf die Bilder, den Klang der Stimmen und die Stimmung im Raum konzentrieren. Die Tonebene während der Dreharbeiten sollte der im fertigen Film möglichst nahe kommt. Vor und nach den Dreharbeiten und in den Pausen haben wir uns mir den Protagonist:innen auf Deutsch oder Englisch unterhalten – oder mit Händen und Füßen kommuniziert. Wenn man offen ist, ist die gemeinsame Sprache gar nicht so zentral.
Wie gingen die Personen damit um, gefilmt zu werden? Gab es hier Schwierigkeiten?
Das hat erstaunlicherweise ziemlich gut geklappt. Mit den Kursleiter:innen war ich schon vor den Dreharbeiten in Kontakt. Aber die Teilnehmenden konnten wir erst unmittelbar vor Kursbeginn fragen, weil diese Angebote sehr offen und niederschwellig sind. Niemand muss und kann sich vorher anmelden. Man kann einfach kurzfristig teilnehmen. Vor Kursbeginn habe ich den Teilnehmenden den Film und das Team vorgestellt und sie um ihr Einverständnis gefragt. Viele wollten mitmachen, weil sie das Projekt interessant fanden. Ich war positiv überrascht, wie schnell sie uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Insgesamt war es eine sehr freundliche und respektvolle Stimmung, die man – glaube ich – auch im Film spürt.
Was würden Sie jemanden entgegnen, der Ihnen vorwirft als „außenstehende Person“ (also ohne Migrationsgeschichte), einen Film zu diesem Thema zu machen?
Die Frage nach Innen und Außen, nach Eigenem und Fremdem muss immer erst als Frage formuliert werden statt sie einfach als natürliche Gegebenheit vorauszusetzen. Wer steht wo in Bezug auf was? Innen und Außen wovon? Wer spricht aus welcher Position worüber? In welchem Kontext? Wie sehen die Machtverhältnisse aus? Sind z.B. Migrant:innen, die in Wien leben, innen- oder außenstehend? Leistet man damit nicht einem essentialistischen Kulturverständnis Vorschub? Was ZUSAMMENLEBEN immer auch zur Diskussion stellt, ist genau diese Grenze von Innen und Außen, Eigenem und Fremden – ohne sie einfach nebulös aufzulösen. Das sind zentrale identitätspolitische Fragen.
Ich würde daher versuchen, auf die Gefahren identitätspolitscher Missverständnisse wie Essentialismus und Ethnopluralismus einerseits und auf die Notwendigkeit von Solidarität andererseits hinzuweisen. Solidarität bedeutet ja nicht nur die Parteinahme für die Gleichen und Ähnlichen, sondern gerade und vor allem mit denjenigen, mit denen man nicht die Migrationsgeschichte, die soziale und ethnische Herkunft, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder die Fähigkeit/ability teilt.
Im Film sieht man oft lange Kamera-Einstellungen auf die Gesichter der Personen. Was sollen diese bei den Zuseher:innen hervorrufen?
Die relativ langen Einstellung der Portraits sind Teil des filmischen Konzepts. Sie forcieren die Wahrnehmung der Individualität und Subjektivität und sind Ausdruck unserer Empathie. Schon lange vor den Dreharbeiten haben wir uns mit Fragen der Bildgestaltung beschäftigt und versucht eine adäquate filmische Form zu finden. Eine Form, die weder paternalistisches Mitleid provoziert noch kompromittierend ist. Wir wollten Migrant:innen einerseits in ihrer Individualität zeigen, daher das Portraitformat und die relativ langen Einstellungen, und andererseits – in der Aneinanderreihung dieser Portraits – als differenzierte Vielheit, nicht als Masse. In der medialen Repräsentation werden Migrant:innen oft als homogene anonyme Masse dargestellt. Desubjektivierung ist ja ein wesentlicher Bestandteil von Rassismus.
Was ist deine Einschätzung zu diesem Kursangebot. Wie zielführend ist es?
Es kann nur ein kleiner Mosaikstein sein. Für den Ausbau einer offenen und diversen Gesellschaft ist es mit diesen Kursangeboten natürlich nicht getan (wobei diese Kurse nur ein kleiner Teil der Arbeit der MA 17 sind). Es hat sich aber gerade in den letzten Jahren einiges zum Positiven bewegt. Diversität war vor einigen Jahren noch ein akademisch-elitärer Diskurs, der dann in den gesellschaftlichen Mainstream übergeschwappt ist. Das hat einerseits zu einer starken Abwehrhaltung von rechts geführt, andererseits aber auch zu Re-Essentialisierungen und politischem Moralismus von Teilen der Linken. Die Probleme werden uns so schnell nicht ausgehen. Es gibt noch viel zu tun.
Thomas Fürhapter empfiehlt auch seine Lieblingsfilme aus dem KINO VOD CLUB.